Wachstumsenquete ohne Fachfrauen? Appell unterzeichnen!

Dass öffentliche Gremien nur selten geschlechtergerecht besetzt sind, ist leider immer noch die Normalität. Dass jedoch die Experten einer Bundestags-Enquete, eingesetzt um zentrale Zukunftsfragen – Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität – zu diskutieren, zu 100 Prozent aus Männern besteht, ist ein doppelter Skandal. Nicht nur werden so fundamental wichtige Perspektiven ausgeklammert – sondern feministische Ökonominnen haben viele der Grundlagen gelegt, auf denen die heute so hochgehaltene Kritik am BIP beruht (für eine kritische Einschätzung der Kritik am BIP gibts hier).

Reproduktion gratis? Das Volumen unbezahlter Arbeit ist, so hat die Zeitbudgetstudie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend von 2001/02 gezeigt, in Deutschland wesentlich größer als das Volumen der bezahlten Arbeit. So wurden im Jahr 2001/02 von allen Personen über 12 Jahre 96 Milliarden Stunden unbezahlte Arbeit geleistet, demgegenüber steht ein Umfang von 56 Milliarden Stunden bezahlter Arbeit. Der monetäre Wert der unbezahlten Arbeit im Haushalt, welche vom Statistischen Bundesamt mit einem Nettolohn von 7 € bewertet wird, beträgt 684 Mrd. €. Unbezahlte Arbeit ist sowohl in Deutschland als auch weltweit zwischen Männern und Frauen ungleich verteilt. Während in Deutschland Männer täglich durchschnittlich 2:05 Stunden für Haus- und Familienarbeit aufwandten, erreichten Frauen einen Durchschnitt von 3:50 Stunden am Tag. Bei der Ausübung von bezahlter Arbeit dreht sich das Verhältnis um: Hier leisten Männer im Durchschnitt 3:12 Stunden täglich, Frauen hingegen 1:44 Stunden (http://www.genderkompetenz.info).

Wir unterstützen daher den Protestappell der „Forschungsgruppe starke Nachhaltigkeit und (Re)Produktivität“ gegen die einseitige Besetzungspolitik in der Enquete Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“

Falls Ihr auch unterschreiben wollt, schickt bitte eine Mail an: Tanja von Egan-Krieger (Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat von Attac): tanja.egan(at)uni-greifswald.de oder an Dr. Barbara Muraca: barbara.muraca(at)uni-greifswald.de.

Übrigens: beim Attac-Kongress Jenseits des Wachstums?!, 20. bis 22. Mai 2011 TU-Berlin, haben wir uns bei allen Veranstaltungen um eine geschlechtergerechte Besetzung bemüht und auch inhaltlich eine Vielzahl von Veranstaltungen eingeplant zu Feminismus, Care-Ökonomie und Geschlechtergerechtigkeit.

Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität – (k)ein Thema für Fachfrauen?!

Die Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ verzichtet auf die Expertise von Frauen aus Wissenschaft und Praxis

Am Montag, den 17. Januar 2011, hat die neu eingesetzte Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität – Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichen Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft“ ihre Arbeit aufgenommen. Wie es auf der Seite der Kommission heißt, soll sie „den Stellenwert von Wachstum in Wirtschaft und Gesellschaft ermitteln, einen ganzheitlichen Wohlstands- und Fortschrittsindikator entwickeln und die Möglichkeiten und Grenzen der Entkopplung von Wachstum, Ressourcenverbrauch und technischem Fortschritt ausloten“.
Damit reagiert Deutschland auf einen in Europa schon lange bestehenden Diskurs über das für viele nicht mehr selbstverständliche Verhältnis zwischen Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität: In den Ländern Südeuropas existiert dazu seit mehreren Jahren eine breit gefächerte soziale Bewegung. Seit einigen Jahren ist diese kritische Perspektive auch in Großbritannien durch die Arbeiten der dortigen „Sustainable Development Commission“ angekommen. Die vom französischen Präsidenten Sarkozy eingerichtete Stiglitz-Sen-Fitoussi- Kommission hat einen umfangreichen Bericht dazu erarbeitet. Und endlich findet dieses Thema auch in Deutschland Beachtung. Aber wie?
Die Kommission ist paritätisch durch je 17 Bundestagsabgeordnete und von den Parteien vorgeschlagene Sachverständige besetzt. – Experten, die aus „fachlicher“ (wissenschaftlicher und gesellschaftlicher) Perspektive die Arbeit der Kommission unterstützen sollen. Und wer gilt als Experte? Männer, Männer, Männer.
Ja – es handelt sich wirklich um ExpertEN. Denn während die politische Besetzung der Kommission unter der Perspektive der Geschlechtergerechtigkeit sich durchaus sehen lassen kann, glänzt die Gruppe der Sachverständigen durch die totale Abwesenheit von Frauen.

Unter den 17 Mitgliedern ist keine einzige Frau!

Dabei zählen zu den wichtigsten Beiträgen zu dem Kernthema der Kommission „Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichen Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft“ gerade die Forschungsarbeiten von prominenten Frauen aus Wissenschaft und Praxis, die sich seit Jahrzehnten mit alternativen Wohlstandsmodellen und Fragen des „guten Lebens“, mit der Verbindung zwischen produktiven und reproduktiven Tätigkeiten sowie mit Geschlechter- und Generationengerechtigkeit beschäftigen. Zum Beispiel liest sich schon das Buch „If Women Counted“ der Ökonomin Marilyn Waring von 1988 als ein Fanal gegen das falsche Rechnen der Ökonomen.
Vor diesem Hintergrund ist es unfassbar, dass die Auseinandersetzung mit der Frage von Wohlstand und Lebensqualität ohne die explizite Berücksichtigung dieser Beiträge und damit ohne die dort entwickelte lebensweltliche Perspektive auf die Wirtschaft erfolgen soll. Die Besetzung der Kommission gibt so ein ganz falsches Signal.
Mehr noch – sie ist ein Skandal und sollte umgehend korrigiert werden.

ErstunterzeichnerInnen (mehr auf der Seite der Attac Gender-AG)

1. Prof. em. Dr. Adelheid Biesecker, Bremen

2. Dr. Ralf Döring, Hamburg

3. Tanja von Egan-Krieger, Berlin

4. Daniela Gottschlich, Lüneburg

5. Prof. Dr. Sabine Hofmeister, Lüneburg

6. Dr. Tanja Mölders, Lüneburg

7. Dr. Barbara Muraca, Greifswald

8. Prof. Dr. Konrad Ott, Greifswald

9. Lieske Voget-Kleschin, Greifswald

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